16.03.09

Den Absprung schaffen

von Eva Schenk

Nach einem anstrengenden Arbeitstag sitzt Anna H. (alle Namen von der Redaktion geändert) abends mit ihrem Mann vor dem Fernseher. Sie ist müde, überlegt, ob sie ins Bett gehen soll. Doch plötzlich schreckt sie auf. „In Berlin wurden gestern bei einer Neonazidemonstration drei Skinheads festgenommen“, sagt der Nachrichtensprecher. Es werden Aufnahmen von glatzköpfigen Männern mit Plakaten gezeigt, auf denen Parolen wie „Sozial geht nur national“ oder „Deutschland den Deutschen“ stehen. Es braucht nicht viel, um sich auszumalen, was Anna H. in solchen oder ähnlichen Momenten fühlt. Bilder wie in diesem Szenario wecken Erinnerungen. Keine schönen Erinnerungen. Denn Anna H. ist früher selbst bei solchen Demonstrationen von Rechtsextremisten mitgelaufen.

Foto: Martin Parr

Ihre ersten Kontakte zur rechtsextremen Szene hatte Anna H. mit 15 Jahren, als sie wegen ihrer Ausbildung vom Land in eine ostbayerische Stadt zog. Dort baute sie sich einen neuen Freundeskreis auf. „Über diese Leute lernte ich dann auch meinen damaligen Freund kennen, der Anführer einer Skinhead-Kameradschaft war.“ Durch ihre Beziehung zu Thomas F. wurde sie schnell in die Gruppe integriert und nahm regelmäßig an Kameradschaftsreffen und manchmal auch Szene-Demonstrationen teil. Außerdem durfte Anna H. bald organisatorische Aufgaben übernehmen. „Das waren aber eher kleine Sachen. Bei uns hatten ganz klar die Männer das Sagen; Frauen wurden eher als Anhängsel oder ‚Betthäschen’ gesehen.“

Zweieinhalb Jahre war Anna H. dabei. Dann stieg sie trotz enger Bindung an die Gruppe aus. Dass ihr der Ausstieg gelang, liegt an einem besonderen Erlebnis, das ihr heute noch in Erinnerung ist. „Wir haben einen Kameraden ausgeraubt, der sich von unserer Gruppe lösen wollte.“ Im anschließenden Ermittlungsverfahren folgten viele Gespräche mit der Polizei. „Da habe ich plötzlich gemerkt, dass in meinem Leben einiges schief läuft. Die Polizei hat mir die Augen geöffnet und auch konkret geholfen, indem sie mich auf das Aussteigerprogramm des Bayerischen Verfassungsschutzes hinwies.“ 

Bei diesem Programm gilt das Motto „Hilfe zur Selbsthilfe.“ „Wir nennen den Betroffenen verschiedene Ansprechpartner, die sie psychologisch unterstützen oder bei der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz helfen“, sagt Robert Bihler vom Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz. Bihler kennt die Situation in Oberfranken gut. Er arbeitet am Ort mit verschiedenen Institutionen zusammen, die sich gegen Rechts stark machen. Auch an Veranstaltungen in Gräfenberg nimmt er gelegentlich teil.

Das Aussteigerprogramm des Verfassungsschutzes in Bayern ist nicht das einzige in Deutschland, es gibt weitere in anderen Bundesländern, die ebenfalls beim Verfassungsschutz oder anderen Behörden angesiedelt sind. Darüber hinaus hilft die private Initiative „EXIT-Deutschland“, die Aussteigewillige intensiver betreut als die staatlichen Stellen.

„EXIT“ wurde vor neun Jahren von einem ehemaligen Polizisten und einem bekannten Szeneaussteiger gegründet. Mitarbeiter der Initiative unterstützen Aussteiger, indem sie Gespräche mit ihnen führen und versuchen, sie vor möglichen Racheakten zu schützen. Darüber hinaus stehen sie auch Familien bei, die befürchten, dass ihr Kind in die rechte Szene abrutscht.

„EXIT“ kämpft jedoch derzeit ums Überleben, da staatliche Fördergelder gestrichen wurden. „Unser Antrag wurde wegen eines Formfehlers abgelehnt. Zurzeit finanzieren wir uns vor allem über Privatspenden. Das Geld reicht allerdings nicht aus, deshalb mussten wir auch einigen Mitarbeitern kündigen“, sagt Dierk Borstel, Mitarbeiter bei „EXIT“. Um wieder in gewohnter Weise arbeiten zu können, werde sich die Initiative in Zukunft sowohl um staatliche Hilfe als auch um Spenden bemühen, so Borstel.

Doch wie groß ist die Gefahr, die von den früheren Kameraden ausgeht, tatsächlich? „Dieser Aspekt wird etwas überbewertet“, so die Einschätzung von Bihler. „Wenn man seinen früheren Freunden glaubhaft versichern kann, dass man beispielsweise wegen eines Berufswechsels umzieht, kommt es selten zu Drohungen oder Gewaltanwendungen. So war das bisher bei unserem Programm.“ Die Neonazis würden allerdings aggressiv reagieren, wenn die Aussteiger mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit gehen. „Und wenn man in der Szene einen gewissen Bekanntheitsgrad hat, ist der Ausstieg auch nicht mehr so einfach wie bei den ‚kleinen Fischen’.“

Das Hauptproblem für Aussteigewillige sieht Bihler aber darin, dass sich Freunde und Familie häufig von Menschen abwenden, die in die rechtsextreme Szene abgleiten. „Danach beschränkt sich soziale Umfeld auf die Kameradschaft. Das macht den Ausstieg sehr schwierig“, sagt er. So war es auch bei Anna H. „Meine Familie und meine Freunde zu Hause waren von der Sache natürlich überhaupt nicht begeistert und wandten sich nach vielen Streitereien von mir ab. Nach dem Ausstieg fühlte ich mich erst mal verdammt einsam.“

Heute hat sie ihr Leben wieder im Griff. Die inzwischen 18-Jährige ist mit einem Partner außerhalb der rechten Szene glücklich verheiratet, arbeitet und hat neue Freunde gefunden. Trotzdem fühlt sich Anna H. manchmal von der Vergangenheit verfolgt. Zum Beispiel, wenn sie bestimmte Bilder im Fernsehen sieht. Oder wenn sie daran denkt, dass ihr Ex-Freund, der wegen des Raubs noch im Gefängnis sitzt, eines Tages freikommt. „Das macht mir schon ein wenig Angst. Ich hoffe, er wird mich einfach in Ruhe lassen.“

 

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