16.03.09

Gräfenberg: Bitte rechts aussteigen

von Maike Körber

„Hey, zeig mal deine Schuhe, hast du da Stahlkappen drunter? Die müsstest du bitte ausziehen!“ Am Nordostbahnhof in Nürnberg kontrolliert die Bundespolizei die ersten Linken. Sie tragen schwarze Kapuzenpullover, Nietengürtel und Schnürstiefel. Anstecker und Aufnäher auf ihrer Kleidung repräsentieren ihre Einstellung. Fünf Polizisten stehen in einer Gruppe am Gleis, jeder der in den Zug steigen will, wird von oben bis unten begutachtet. Wer auffällt, muss seinen Ausweis vorzeigen. Die unbeteiligten Fahrgäste reagieren verunsichert und beobachten die Polizisten mit Ehrfurcht: „Ist hier etwas passiert? Oder rechnet man mit etwas Schlimmem?“

Nicht immer geht es so ruhig zu am Gräfenberger Bahnhof. Foto: Erwin Krauß

Seit 1999 marschieren die Neonazis jedes Jahr am Volkstrauertag, seit 2006 monatlich, zum Gräfenberger Kriegerdenkmal. Um sich gegen die Rechtsextremen zu wehren, versammeln sich an diesen Tagen auch zahlreiche Nazigegner in der oberfränkischen Kleinstadt. Damit es zwischen den Rechtsextremen, den linken Gegendemonstranten und den engagierten Bürgern nicht zu Ausschreitungen kommt, sind in Gräfenberg und auf der Zugfahrt dorthin Bundes- und Landespolizisten im Einsatz. Um heftige Konfrontationen auf der Fahrt zu verhindern, ist der Zug überlicherweise zweigeteilt. Die Rechtsextremen sitzen im vorderen Teil, die Nazigegner hinten.

Manchmal – wie heute – ist diese strenge Aufteilung der Gruppen jedoch nicht nötig. Die Linken haben ihre Demonstration für 11 Uhr angemeldet, die Rechten beginnen erst um 15 Uhr mit ihrer Kundgebung. Dennoch will die Polizei nichts riskieren und bittet die linken Demonstranten, sich in den vorderen Teil des Zuges zu setzen.

Im Zug ist es dann ruhig. Einer der begleitenden Polizisten erläutert: „Trotz allem verläuft die Zugfahrt normalerweise sehr zivilisiert.“ Die Gegendemonstranten begrüßen sich herzlich, unterhalten sich über vergangene Demonstrationen und bemalen eifrig Plakate mit Sprüchen wie „Nazis raus“. Nach einer knappen Stunde fährt der Zug in Gräfenberg ein. Hunderte von Polizisten stehen auf dem kleinen Bahnsteig und versperren in Halbkreisen die Ausgänge des Zuges. „Schneller, wir müssen die Kreise größer machen!“, schreit einer der Uniformierten. Nur kurz fragen die Polizisten die Aussteigenden, ob sie zur Demonstration möchten, aber niemand kommt an ihnen vorbei, ohne seinen Ausweis zu zeigen und die Tasche kontrollieren zu lassen. Doch auch hier verhalten sich die Demonstranten ruhig. Dieser Ablauf hat sich anscheinend eingespielt.

Am Ende des Gräfenberger Gleises versammeln sich die etwa 300 linken Demonstranten, verteilen Schilder, die von Verbrechen deutscher Soldaten im Zweiten Weltkrieg künden, hören Musik und machen sich – vor der Ankunft der Rechtsextremen, die etwa drei Stunden später sein soll – auf den Weg zur Demo am Marktplatz.

Die Rechten haben ihre Kundgebung für 15 Uhr angemeldet – und fahren entsprechend später von Nürnberg nach Gräfenberg. Obwohl in diesem zweiten Zug kaum noch Gegendemonstranten mitfahren, wird die strenge Trennung der Abteile weiter beibehalten. Im vorderen Zugabteil sitzen dieses Mal Rechtsextreme – es sind nur etwa ein Dutzend. Rainer Schlemmer von der Bundespolizei in Nürnberg beobachtet, dass die Präsenz der Rechtsextremen auf der Zugfahrt nachgelassen habe.

In diesem zweiten Zug hat man den Eindruck, dass auch die Nazis alle aus einer gemeinsamen Clique stammen. Sie unterhalten sich locker über das vergangene Wochenende. Im Gegensatz zu den Linken ist von den Nazis nichts Näheres zur Demonstration zu erfahren. Kurz vor der Ankunft in Gräfenberg ertönt die Durchsage: „Nächste Station: Gräfenberg. Bitte in Fahrtrichtung rechts aussteigen.“ Die Rechtsextremen stehen auf und vermummen sich mit Kappen, Kapuzen und Sonnenbrillen. Wie schon drei Stunden vorher haben sich die Polizisten wieder zahlreich am Bahnsteig versammelt, um die Rechtsextremen sofort abzufangen. Ein Team vom Lokalfernsehen verfolgt die Situation mit einer Kamera. Wer hier aussteigt, gehört zu den Nazis. So verhält sich auch die Polizei. Die Frage nach den Gründen für den Besuch in Gräfenberg wird erst gar nicht gestellt, Ausweise werden einbehalten, um die Personalien per Funk zu überprüfen, Taschen werden kontrolliert und Körper abgetastet. Der Ton der Polizisten ist grob: „Hier rüber! Ausweis raus! Tasche auf!“ Dass die Rechtsextremen härter kontrolliert werden als die Linken, zeigt sich auch darin, dass sie von mehreren Spezialeinheiten der Polizei begleitet in Richtung Kriegerdenkmal marschieren.

Die ersten Gegendemonstranten machen sich bereits gegen 16 Uhr auf den Rückweg, während ihre Demonstration am Marktplatz eigentlich noch in vollem Gange ist. Sie kommen am Bahnsteig an – weit und breit keine Polizei. Als der Zug, der sie wieder nach Nürnberg bringen soll, einfährt, steigen die Linken einfach in den vorderen Waggon. Der Zug fährt jedoch nicht sofort ab, sondern bleibt zunächst im Bahnhof stehen. Als einer der Linken aus dem Fenster sieht ruft er: „Ey, guckt mal raus! Da kommen die scheiß Nazis!“ Durch die Scheibe beobachten sie, wie die zirka 65 rechten Demonstranten den kleinen Berg vom Dorf herunter zum Bahnhof marschieren. Nach wie vor sind sie von Hunderten von Polizisten begleitet.

Auch unten am Bahngleis sammeln sich nun eilig die Einsatzkräfte. Anscheinend wollen die Rechten ebenfalls mit dem Zug fahren, der bereits im Bahnhof wartet. Sie werden von der Polizei zum vorderen Abteil gelotst, in dem aber schon die Linken sitzen, die unterdessen etwas unruhig werden. Einige Linke verlassen den Zug, um die Möglichkeit zu nutzen und die Nazis zu beschimpfen. Für einen Moment weiß auch die Polizei nicht, wie die Gruppen jetzt gelenkt werden sollen, um getrennt im Zug zu sitzen. Die Linken, die inzwischen komplett ausgestiegen sind und sich auf dem Bahnsteig versammelt haben, sollen in den hinteren Teil des Zuges. Statt jedoch friedlich umzusteigen, bilden sie eine Gruppe und schreien: „Nazis raus! Ihr Schweine!“

Mit harten Ansagen und strenger Miene, drängen die Polizisten die Linken in den hinteren Teil des Zuges und versperren die Türen, damit keiner mehr aussteigen kann, während die Nazis in den vorderen Teil gesetzt werden. Mehr Polizisten als auf der Hinfahrt begleiten den Zug und verlassen die Türen nicht, um auch auf dem Weg die klare Einteilung der Gruppen zu kontrollieren und zusteigende Fahrgäste zu informieren.

Am Nürnberger Nordostbahnhof angekommen, ist die Arbeit für die Polizei getan. Linke und Rechte verlassen den Zug. Vom Nordostbahnhof müssen sie nun noch mit der U-Bahn zum Hauptbahnhof. Kaum kontrollieren die Polizisten die Situation nicht mehr, kommt es zu Konfrontationen zwischen den linken Demonstranten und den Rechten. Obwohl das hintere Abteil der U-Bahn schon fast voll ist, steigen vier Nazis ein. Schnell merken sie, dass das Abteil gut gefüllt ist mit linken Gegendemonstranten. Die Nazis reden nicht und blicken zu Boden. Als einer der Linken anfängt, sie zu beleidigen, verziehen sie immer noch keine Miene.

Beim nächsten Halt werden sie gefragt: „Könnt ihr jetzt bitte mal aussteigen?“ Nervös gucken sie sich um. Der Größte von ihnen antwortet: „Nein, wir fahren bis zum Hauptbahnhof.“ Sofort legt ihm einer der Linken von hinten die Hand auf die Schulter: „Nein, ihr steigt jetzt aus!“. Die Nazis erkennen offenbar, wie gefährlich die Situation ist und drehen sich fast freiwillig in Richtung Tür. Ein heftiger Stoß von einem der Linken sorgt dafür, dass alle Nazis aus der Bahn stolpern. „Ich hab keinen Bock neben Nazis in der U-Bahn zu stehen.“

 

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